Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

Warum Aus Um Für In Berchtesgaden

frei:händigs „Art-Festival“ vom Berchtesgadener Anzeiger

Rund 1 000 Besucher strömen zum 2. »art:festival«

BISCHOFSWIESEN |

Bischofswiesen – Den »Kulturhof Stanggass« haben sich das Kollektiv »frei:händig« und der Verein »Berchtesgadener Hut« für die zweite Ausgabe des »art:festivals« in Form eines Kunsthandwerksmarkts mit Ausstellungen, Live-Handwerk und Musik ausgesucht. Geschätzte 1 000 Gäste strömten in die Stanggaß, der Regen blieb dafür aus und bescherte den Besucherinnen und Besuchern einen groß angelegten und von Kreativität sprühenden Kulturnachmittag – kombiniert mit Biergartenatmosphäre, Livemusik und Entspannung in Chill-out-Zonen.

50 Ausstellerinnen und Aussteller präsentierten ihre Kunst, verteilt über das gesamte »Kulturhof«-Areal, im Foyer, Festsaal, Seminargebäude und Außengelände. Schwerpunkte der Kunstausstellung: Holz, Malerei, Keramik und vieles mehr. Stefanie Schuhwerk zum Beispiel strickt und häkelt sehr gerne, auch nach Auftrag. »Egal was, Hauptsach‘ i hob‘ a Nadel in der Hand«, sagt sie – natürlich mit der Nadel in der Hand und umrahmt von ihren kleinen, selbst gestrickten Kinderpüppchen.

Tätowierte Bananen

Im Seminarraum bietet Karin Malsam, Geschäftsführerin vom »13 Tattoo« in Bischofswiesen, Kindern die Möglichkeit, eine Banane zu tätowieren – und die Kinder stehen Schlange. Tätowieren ist eine Kunst – »13 Tattoo« arbeitet mit verschiedenen Künstlern für alle möglichen Tattoo-Stile.

Anna Stangassinger und Carina Engle teilen sich einen Ausstellungsstand. Während sich Carina Engle als Fotografin normalerweise der Hochzeitsfotografie widmet, malt Anna Stangassinger überwiegend mit Acryl und hat begonnen, Drucke ihrer Kunst zum Verkauf anzubieten. »Damit ich das Original nicht weggeben muss«, sagt sie.

Zum allerersten Mal stellt Laura Wollschläger ihre Fotografien aus. Sie fotografiert an Orten, die sie selbst besucht hat, Menschen und Landschaften. Ruhige Stimmungen will sie einfangen. Zuvor hat sie sich noch nicht getraut, ihre Werke der Öffentlichkeit zu zeigen. Jetzt ist sie froh, den Schritt gewagt zu haben. Viel positives Feedback habe sie bekommen und sie freue sich, wenn sie mit ihrer Arbeit anderen Menschen ein Gefühl von Freude vermitteln könne.

Die meisten der ausstellenden Künstlerinnen und Künstler haben noch einen »richtigen Beruf«, und das, was sie beim »art:festival« präsentieren, ist ihre eigene, ganz persönliche Herzensangelegenheit. Das wird beim Betrachten der Kunst und im Gespräch mit ihnen schnell offensichtlich.

Im Foyer ist Marius Brandner gerade dabei, einen »Deife« zu schnitzen, eine Teufelsmaske für einen Showlauf. Seit 25 Jahren schnitzt er daheim in der eigenen Werkstatt Masken, hauptsächlich für Kramperl und Buttnmandl. Daneben sitzt Ulrike Plettenberg, umgeben von einigen Holzstühlen wie aus einem ehrwürdigen Wiener Kaffeehaus und übt das alte Handwerk des »Wiener Geflechts« aus: Sie hat die »Korbflechtschule« besucht und versieht die Sitzflächen von Holzstühlen mit einem Geflecht aus Rattan. Zeitaufwand pro Stuhl: 10 bis 15 Arbeitsstunden. Die Auftragsbücher seien voll, sagt sie, sie könnte mehr verkaufen, als sie herstellen kann. Aber sie repariert auch viel.

Musik lockert auf

Musikalisch hatte Leoni Schwalbe alias Nony Music den Auftakt zur Veranstaltung gemacht. Jetzt sorgt »Dreiklang« im Innenhof für die musikalische Unterhaltung. Dreiklang sind Tobias Hartmann mit der Gitarre, Simon Metzendorf mit der diatonischen Ziach und Damian Ponn mit seiner Harfe. Zusammen machen sie ihre ganz eigene Instrumentalmusik, eine Mischung aus Volksmusik und ganz unterschiedlichen anderen Stilrichtungen. Den zahlreichen Gästen an den Tischen im Innenhof gefällt es.

Jakob Palm, zusammen mit Tassilo Neugebauer Vorstand des »Berchtesgadener Huts«, zeigt sich sehr zufrieden. Der »Berchtesgadener Hut« ist ein eingetragener Verein zur Kulturförderung und tritt als Veranstalter des »frei:händig art:festivals« auf. Denn »frei:händig« ist kein eingetragener Verein, sondern ein loses Kollektiv – eine Veranstaltung in dieser Größenordnung mit den entsprechenden finanziellen Verpflichtungen zu organisieren, wäre für sie deshalb schwierig. »Es ist ein stimmiges Konzept und es ist so schön, diese echte Resonanz zu erleben«, freut sich Jakob Palm. »Diese eine Leidenschaft, die uns neben dem Alltag nicht loslässt, kriegt hier Nährboden.« Auch der Freiheitsgedanke ist ihm sehr wichtig. So ein Kollektiv wie »frei:händig« müsse frei sein, um seinen Passionen zu folgen und ohne Druck arbeiten zu können. Deshalb bietet der »Berchtesgadener Hut« als Verein dem Kollektiv gerne die Möglichkeit, so ein Festival zu organisieren.

Handgemachte Geigen und flüssige Bronze

Der Rundgang im Gelände führt weiter zu Geigenbauer Sepp Neumeier. Er stammt aus einer musikalischen Familie und wollte etwas mit Musik und Holz machen. Sieben Jahre hat er für eine Firma als Geigenbauer gearbeitet. Jetzt ist er wieder als Schreiner tätig und baut nebenbei Geigen, auch wenn er überwiegend beschädigte Instrumente repariert.

Heiß her geht es im Atelier Gruber vom Dürrnberg. Am »Glücksgipfel«, dem Aussichtspunkt des »Kulturhofs«, können die Besucher Formen aus Gips schnitzen, von denen Sandabdrücke hergestellt werden. Diese werden dann mit 1 100 Grad heißer, flüssiger Bronze ausgegossen. Wer etwas Geduld für die Abkühlung mitbringt, kann seine eigene Bronzeform dann mit nach Hause nehmen.

Gegenüber sitzt Markus von Hoesslin an einer mehr als 100 Jahre alten fußbetriebenen Töpferscheibe. Die hat er von seiner Mutter übernommen, die sie ebenfalls schon gebraucht bekommen hat. Barfuß treibt er die Drehscheibe an und formt für sein Publikum winzig kleine Vasen und Krüge. Er betreibt die Berchtesgadener Keramikmanufaktur von Hoesslin, die in Berchtesgaden seit mehr als 60 Jahren Keramik herstellt – schon lange mit elektrischen Töpferscheiben, sagt er. »Die fußbetriebene Töpferscheibe kommt nur noch für solche Vorführungen zum Einsatz.«

Töpferware gibt es auch etwas weiter bei Susanne Fersterer und Regina Bernauer. Deren Fokus liegt auf Gebrauchskeramik, wie zum Beispiel Tellern, die in Formen gepresst und mit individuellen Mustern verziert werden. Die beiden sind aus Vachendorf angereist. Zum »art:festival« sind sie über Kontakte gekommen. Sie genießen die schöne Atmosphäre und die Menschen. »Die Leit‘ san wos B’sonders«, sagen sie.

Großformatige bunte Kühe füllen den Stand von Iris Rüdel aus München. Sie malt Kühe als Hommage an ihre privilegierte Kindheit auf dem Bauernhof in Niederbayern und aus Liebe zu Bayern. Heimatgefühle will sie in die Wohnzimmer bringen. »Menschen lieben Kühe«, sagt sie. Deshalb hat sie – nicht ganz ernst gemeint – auch die Kuh »Resi Pickert« zur Europawahl antreten lassen, Wahlplakate gestaltet und in München aufgehängt. Denn Resi ist integer und verfügt über sehr hohe Werte, lacht die Künstlerin.

Daneben gibt es auch Lampen, Skulpturen, Holzobjekte, Messer, eine Sattlerei, Filzfiguren, Kindermode, Felsbau, Grafik, eine Imkerei und Mode-Upcycling, eine Ausstellung des Kollektivs »Wurzeltrieb« über sexualisierte Gewalt, und einiges mehr.

Auch Gabriella Nandori stellt ihre Kunst aus. Die Wienerin lebt seit acht Jahren in Berchtesgaden und stellt handgefertigten Schmuck aus Edelstahl und Halbedelsteinen, Holz und echten Perlen her. Vor allem aber hat sie das Festival für das Kollektiv, zusammen mit Sabine Köppl und vielen weiteren Helferinnen und Helfern, federführend organisiert. Gabriella Nandori oblag die Gesamtplanung, die Kommunikation mit den Künstlerinnen und Künstlern, die Gestaltung der Website, Erstellung der Texte und vieles mehr. »480 ehrenamtliche Stunden stecken da drin, aber es hat auch mir etwas gebracht. Alles, was ich tue, macht Spaß«, sagt sie. Das Festival sei großartig besucht gewesen, sie zeigt sich sehr zufrieden mit der Resonanz. »Das Glück hat mich in dieses Kollektiv hineinspringen lassen«, strahlt sie. »Es macht mir Freude und wenn dann so ein Tag gut funktioniert, bin ich nur glücklich. Es hat sich gelohnt.«

Während die Band Kamanda am frühen Abend in der Bar für Stimmung sorgt, zieht kurz vor Ende ein starkes Gewitter über dem »Kulturhof« auf. Zu spät, um den riesigen Erfolg des »2. frei:händig art:festival« noch zu verwässern.

(von Babett Wegscheider)